Ok, Konsumgesellschaft. Wir müssen reden!
Achtung: Meine Texte können meine Meinung beinhalten, die eventuell nicht eurer eigenen entspricht. Das soll so sein, muss jedoch nicht jedem gefallen.
W
ie? Die Geschäfte machen wieder auf? Okay! Ich kann es noch gar nicht glauben. Und fühle mich auch nicht unbedingt angesprochen. Sogar die Gastronomie öffnet langsam wieder ihre Türen. Komisches Vorstellung. Schliesslich war so lange Lockdown, dass ich mich gar nicht mehr richtig an dieses “Davor” erinnern kann. Ich glaube, davor waren wir draussen, einfach so. Wir konnten überall hin und durften weiter gehen als nur zum nächstgelegenen Supermarkt. Ohne auch nur einen Gedanken an eine mögliche Ansteckungsgefahr für einen selbst und andere zu verschwenden. Und ohne daran denken zu müssen, einen Mundschutz dabeizuhaben. Klassischer Fall von “Früher war alles besser”.
Wobei das so ja nicht ganz richtig ist, denn anstecken konnte man sich schliesslich immer schon mit irgendetwas. Man wurde einfach nur nicht ständig daran erinnert. Seit ich denken kann hatte ich jedoch auch vor Corona immer eine Flasche Händedesinfektion in der Tasche. Dafür wurde ich immer wieder gerne aufgezogen. Sogar den Spitznamen “Frl. Sagrotan” durfte ich ein paar Jahre mit mir herumtragen. Schuld daran ist meine Mama, die ihr ganzes Leben lang ausgesprochen pingelig und vorsichtig war, wenn es darum ging, Dinge anzufassen, die eventuell nicht sauber sein könnten. Das Leitspruch meiner Kindheit lautete: “Wehe, du fasst etwas an.” Das hat sich für immer eingebrannt. Und bin damit seltsamerweise auch nie schlecht gefahren. Es hat nicht geschadet, ist ganz einfach umzusetzen und zeigt zudem Wirkung. Die Grippesaison geht schon seit Jahren völlig spurlos an uns vorbei. Und auch sonst sind wir eher diejenigen, die sich so selten mit einer Erkältung rumschlagen müssen, dass ich mich an den letzten Schnupfen nicht einmal mehr erinnern kann.
Und jetzt? Jetzt ist plötzlich alles anders. Und auf einmal ist das, was ich immer schon mache, die Regel, nicht mehr die Ausnahme. Seltsam.
Dabei sind Lockerungen doch eigentlich eine gute Sache, oder? Wir waren jetzt schliesslich eine gefühlte Ewigkeit zuhause. Dieser Virus hat unseren Alltag mal eben auf links gedreht. Unvorbereitet und ungefragt. Und uns unsicher gemacht. Ob alles jemals wieder so sein wird wie davor, weiss ich nicht. Ich für mich kann es mir jedenfalls, so wie es gerade ist, kaum noch vorstellen.
Seit Wochen hängen wir in dieser Pandemie-Nachrichten-Dauerschleife fest, die uns jeden Tag wieder ein kleines bisschen mehr aus dem Konzept bringt. Unsere Alltags-Routine befindet sich in dauerhafter Luftauflösung und unser Leben fühlt sich an wie Kreisverkehr. Alles wurde durcheinandergeschmissen. Und das alles nur, weil irgendwo auf der Welt jemand eine Fledermaus nicht richtig durchgekocht hat. Oder so etwas in der Art. Wird gemunkelt. Man weiss es nicht und ist sich doch sicher.
Und dabei dachten wir alle immer, es würde niemanden interessieren, wenn in China ein Sack Reis umfällt.
Ich glaube einige von uns sind da mittlerweile anderer Meinung. Man weiss nicht so recht wohin mit sich und seinem neuen Alltag. Dank diesem Dauerzustand befinde ich mich immer noch gefühlstechnisch in einem Schwebezustand zwischen “Ja! Juhu, endlich wird diesem ständigen Schneller-Höher-Weiter Wahnsinn eine Zwangspause auferlegt” und “O.Gott vielleicht macht diese Situation jetzt am Ende alles noch viel schlimmer”.
Der Gewöhnungseffekt will zum Glück noch nicht einsetzen, aber trotzdem hat man sich fast daran gewöhnt, nichts tun zu dürfen. Einerseits durchaus gut und richtig, andererseits natürlich langsam auch etwas nervig. Ich würde auch gerne wieder unvoreingenommen rausgehen dürfen, ohne dieses komische Gefühl im Bauch haben zu müssen, damit etwas falsch zu machen. Wir sehnen uns zwar nicht unbedingt nach diesem “Vorher”, so toll war das ja alles nicht, aber nach einem “Normal” schon ein bisschen. Aber noch sagt die Vernunft “mach mal langsam”. Und das ist auch ganz gut so.
Äusserer Stillstand führt übrigens zu einer völlig irrationalen Mischung aus lähmendem Tatendrang und hibbeligem Nichtstun. Man würde den Stillstand gerne sinnvoll nutzen, ist aber zu unmotiviert und müde überhaupt etwas zu tun und bleibt so äusserlich wie innerlich im Nichts – und still. Mit leichter Tendenz zum Durchdrehen. Eine ganz neue Erfahrung. Sich auf sich selbst zu besinnen ist in unserer Gesellschaft fast verloren gegangen. Und wer das tut wird als Esoteriker abgestempelt. Yoga ist noch okay. Aber bitte mit Instagramprofil. Dann wird’s akzeptiert. Sich mit sich selbst zu beschäftigen, und dabei still zu bleiben, ist sowieso komisch. Das verstehen die wenigsten. Wenn in unserer Leistungsgesellschaft alle Termine plötzlich auf Null rauschen, kippt bei vielen die Laune. Ohne die Ablenkung von diesem “Aussen” kommt plötzlich dieses versteckte “Innen” zum Vorschein. Und das will man nicht, damit kommen die meisten nicht klar. Ich habe Termine, also bin ich!
Da kommt es der ruhiggestellten Gesellschaft gerade recht, dass der Lockdown langsam aufgelockert wird.
Das Aufatmen ist gross, als es plötzlich heisst: HUSCH! RAUS! SHOPPEN! MUNDSCHUTZ AUF UND LOS! Weil Wirtschaft und so…
Aber stecken wir nicht noch mitten in einer Pandemie? Nur weil die Medien, und somit gefühlt jeder, von Urlaub, Flugreisen und Wirtschaftswachstum reden, heisst das ja noch lange nicht, dass dieses Virus weggezaubert ist. Eigentlich. Denn eigentlich ist Corona noch da, die Pandemie in vollem Gange, die Ansteckungsgefahr nicht gebannt. Und dennoch macht die Welt, was sie immer macht. Sie macht weiter. Als wäre nichts gewesen. Das ist zwar nachvollziehbar, aber genau genommen nicht besonders klug. Nur denkt darüber scheinbar gerade keiner nach. Wirtschaftswachstum, Urlaub, Freiheitsrechte. Shoppen, Saufen, Feiern, Urlaub. Gefälligst. Und zwar pronto. Scheiss auf Corona. Ohne Fleiss kein Preis. Nur wer etwas leistet wird anerkannt und hat sich etwas verdient. Schaffe, schaffe, Häusle baue. Die Wirtschaft muss gestärkt werden. Wir brauchen Umsatz. Die Produktion muss anlaufen. Auch ohne Nachfrage. Egal. Wir haben wirtschaftliche Defizite, die aufgeholt werden müssen. Pandemie? Ein bisschen Schwund ist immer. Nennt sich Kollateralschaden. Ist einkalkuliert. Husch. Weiter gehts. Der Investor braucht Dividenden. Man möchte ein kleines bisschen kotzen.
Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass das noch nicht richtig ist und der Alltag besser noch ein bisschen zuhause bleiben sollte. Die Weltwirtschaft sagt das Gegenteil. Und es passiert tatsächlich das, was ich befürchtet hatte. Die Regierungen der Länder geben klein bei. Die Wirtschaft ist zu mächtig. Und die Krise wird langsam zu teuer. Corona hin oder her – es muss wieder Geld in die Kasse. Koste es, was es wolle.
Das Wort der Stunde (wieder einmal): Wirtschaftswachstum.
Und wir alle sollen bitteschön unseren Beitrag leisten. Wir sind zugegeben hin- und hergerissen. Schwanken zwischen totaler Skepsis und dem Wunsch nach Unbeschwertheit. Sind gleichzeitig irritiert über die Öffnung der Geschäfte und Lokale. Wir werden natürlich dazu animiert, einkaufen zu gehen. Es ist alles sicher. Alles geregelt. Die Gefahr scheinbar gebannt. Alles hält sich an die Beschränkungen. Sagt irgendwer im Fernsehen. The show must go on. Sollen wir glauben. Glauben wir aber nicht. Und ob wir dabei mitmachen wollen, wissen wir noch nicht.
Und dennoch: Einkaufen gehen ausserhalb des Supermarkts um die Ecke wäre schon mal wieder toll. Schliesslich sind wir Teil des kranken Systems und gewohnt, zu konsumieren. Innerliche Widersprüche machen sich breit. Was ist denn jetzt richtig? Regionales Einkaufen ist natürlich das Ding der Stunde. Diesmal nicht wegen dem Klima, sondern wegen der lokalen Wirtschaft. Der Einzelhandel vor Ort muss gestärkt werden. Der Ladeninhaber braucht Umsatz. Der Gastronom auch. Es geht um Arbeitsplätze, Existenzen, Einzelschicksale. Wir verstehen das alles. Natürlich. Dennoch – Skepsis bleibt.
Alle, die etwas zu sagen haben, sagen dasselbe. Zumindest diejenigen die denken, dass sie es besser wüssten, als “die Menschen”. Experten und Politiker reden ausgesprochen gerne, wenn sie reden, von sich und den Menschen. Sonderbar. Als wären sie kein Teil der Konsumgesellschaft.
Das Wirtschaftswachstum ist uns sowieso völlig egal. Was vorher schon schlecht für die Welt war, wird durch eine exzessive Aufholjagd mit ziemlicher Sicherheit nicht besser. Und wer einfach so weitermacht wie vorher tut der Welt keinen Gefallen. Aber was wissen wir schon. Wir sind schliesslich nur Menschen, keine Politiker und gehören auch nicht zu den sogenannten Wirtschaftsweisen, die unsere Welt durch ihre Wachstumgedanken nur noch kranker machen wollen. Pandemie? Pillepalle. Gewinnmaximierung! Nur darum gehts. So ganz nach dem Motto: Sollten wir nicht mal Tacheles reden? Och nö, lass mal besser drumrum schwafeln, sodass keiner die Zusammenhänge versteht. Nicht einmal wir selbst. Hauptsache, es springt am Ende eine Menge Geld dabei raus.

Und dann haben wir doch versucht so zu tun, als wäre alles wieder gut – und gemerkt, was dabei rauskommt.
So akribisch, wie wir uns die letzten Wochen an die Ausgangssperre gehalten haben, müssten wir eigentlich ein Extra-Sternchen für unser Karmakonto bekommen. Wir sind nicht einmal spazieren gegangen, als wir es durften. Waren nicht im Park, nicht am Fluss, nicht in der Stadt. Haben weder gehamstert noch wie die Wilden Klopapier, Hefe und Nudeln gehortet. Wir waren nur im Supermarkt wenn es unbedingt notwendig war. Haben unser Klopapier vernünftig eingeteilt und uns sogar unseren Lieblingskaffee aus dem Bioladen verkniffen. Weil der Bioladen nicht um die Ecke ist und wir keine unnötigen Wege gehen wollten.
Wir haben ab und zu Essen bestellt, als das wieder möglich war. Zugegeben. Aber wir haben dabei die Restaurants gewählt, in die wir sonst auch gehen. “Wir schaffen das”, würde Mutti Merkel mal wieder sagen. Wir wissen es nicht. Aber geben unser bestes.
Und dann kam der Moment, wo wir uns getraut haben. Wir wollten das erstmal nach einer gefühlten Ewigkeit in die Stadt. Und weil wir nett sind und alles richtig machen wollen, gehen wir eben nicht weltweit online einkaufen, sondern beim Händler vor Ort. Das war zumindest der Plan.
Doch dieser Plan ist gar nicht so einfach, wenn der Einzelhandel vor Ort anderer Meinung ist.
Dabei waren wir durchaus motiviert und auf alles vorbereitet. Uns war natürlich auch klar, dass alles anders und vor allem nicht einfach sein wird. Aber dass es so schwer werden würde, Geld auszugeben, hatten wir dann ehrlich gesagt nicht erwartet.
Wir wollten ein Kissen kaufen. Kein Dekokissen, sondern ein gutes Kissen fürs Bett. Eines von der Sorte, das nicht zu hart und nicht zu weich ist. Das fluffig bleibt und sich sanft anschmiegt. Formstabil und gleichzeitig knuddelbar ist. Und zudem nicht klumpt. Einfach das perfekte Kissen. Wenn man plötzlich viel zuhause ist und vor sich hincoocooned, dann merkt man, worauf es wirklich ankommt. Und das sind unter anderem gute Kissen. Wir haben in der Lockdown-Phase festgestellt, dass unsere Kissen gut sind, aber nicht gut genug. Der Plan stand also. Und wer schon einmal ein Kissen online bestellt hat weiss, dass das dem Onlinekauf einer perfekten Jeans gleich kommt – es ist schlicht unmöglich.
Wir waren übrigens bereit, viel Geld für ein neues Kissen auszugeben. Schliesslich verbringt man eine Menge Zeit mit seinem Kissen. Es darf ruhig Qualität haben. Deshalb brauchen wir einen Experten in Kissenfragen. Wir gehen nicht oft in Fachgeschäfte für solche Anliegen. Aber der Moment erschien uns richtig. Wir brauchen etwas Wichtiges mit Qualität, dazu einen Expertenrat und wir sollen die regionale Wirtschaft stärken. Dieser Einkauf sollte also zusätzlich etwas besonderes in besonderen Zeiten werden. Karma Extrasternchen. Aber ich hatte bereits erwähnt, dass das nur der Plan war, oder?
Besondere Situationen erfordern besondere Massnahmen. Nach einem Lockdown ein Kissen zu kaufen gehört definitiv in die Kategorie “besonders”. Leider in die “besonders unmöglich”. Wie wir mit dieser neuen Situation umgehen sollen bleibt uns ein Rätsel. Und dem Einzelhandel wohl leider auch. Irgendwie fühlt es sich an, als stünden wir vor einer Wand aus Regeln und Vorschriften, an die sich jeder halten muss aber die niemand einhalten will.
Oft denkt man, man ist gut vorbereitet, allerdings leider nicht auf das, was dann kommt.
I
m ersten Geschäft, das wir uns gezielt ausgesucht haben, werden wir unwillig begrüsst. Wir hatten es extra gewählt, weil wir dort in den vergangenen Jahren schon oft waren und deswegen wissen, dass das Preisniveau hoch ist, das Klientel gehobene Ansprüche hat und so dort selten viel los ist. Die Schickimicki-Gesellschaft shoppt nicht gerne in Wühltisch-Atmosphäre. der Laden ist leer. Das ist genau das, was wir in Pandemiezeiten wollten. So wenig Kontakt zur Aussenwelt wie möglich. Das Klima im Raum ist kühl, fast schon abweisend. Wir zögern. Aber jetzt wo wir schon einmal da sind und das erste Mal seit Wochen überhaupt wieder ein Geschäft betreten, das keine Lebensmittel oder Drogerieartikel im Regal stehen hat, beissen wir uns tapfer durch. Und finden unsere Idee mit der Unterstützung des kleinen regionalen Anbieters vor Ort direkt blöd.Nach unserem üblichen Ritual an der Eingangstür, nämlich erst einmal alle Zettel und Schilder zu lesen um so zu checken, welche Regeln gelten, was zu beachten ist, wo welche Schleusen zu durchqueren sind, wer wem wie hilft, ob wir abgeholt werden, irgendwo warten müssen bzw. ob überhaupt geöffnet ist, scheint es in diesem Geschäft keine expliziten Regeln zu den bereits automatisierten Regeln wie Mundschutz auf und Hände desinfizieren zu geben. Dennoch stehen wir erst einmal nur “Soda” und lassen uns überraschen, was jetzt wohl kommen mag.
Es kommt genau nichts. Verkäufer scheint es zu geben. Uns entgegen kommt keiner. Am Tresen steht ein Mensch in Maske und guckt in den Bildschirm mit dem Obst. Wir werden nach nichts gefragt und einen Gruss bekommen wir nur notgedrungen zurück. Wir gucken etwas irritiert und wissen plötzlich nicht mehr, wie man einkauft. Dabei waren wir gerade noch voller Euphorie. Der Einzelhandel freut sich über jeden Kunden, der wiederkommt. Denkste.
Unsichere Zeiten prallen auf unsicheres Verhalten.
Wir gehen zum Verkäufer und fragen ihn nach Kissen. Und auch, wie es ihm geht. Eigentlich kennt er uns. Wir waren schon oft hier. Haben bei ihm bereits ein Bett, verschiedenen Stoffe, Lampen und Bettwäsche gekauft. Er ist jedoch eindeutig nicht in Smalltalk-Stimmung, zeigt uns aber leicht genervt einige Kissen, zu denen er keine Hintergrundinfo hat. Preis? Muss ich erst gucken. Qualität. Alle gleich. Füllung. Keine Ahnung.
Wir gucken etwas sperrig auf die grundverschiedenen Materialien, die wir gerade in der Hand halten und die er uns als “alle gleich” beschrieben hat – und entscheiden ohne Worte, dass wir hier wohl heute und wahrscheinlich auch in naher Zukunft kein Kissen kaufen werden. Stattdessen fragen wir schnell nach einem Spiegel, weil wir immer noch denken, dass wir doch schon mal so da sind. Man will in diesen schwierigen Zeiten schliesslich keinen Weg umsonst gemacht haben. Zudem wollen wir uns unser erstes Shoppingerlebnis seit einer gefühlten Ewigkeit nicht vermiesen lassen.
Er hat übrigens einen Spiegel da, lässt er uns leidend wissen, aber eben nur den einen. Ob er ihn uns zeigen soll. Er ist oben. Dahin führt leider nur eine Treppe. Wir sagen ja, er guckt leicht entsetzt. Er hinkt etwas. Ich mache mir sofort Sorgen. Wir wollen niemanden überfordern. Finden diese Pandemie selbst herausfordernd genug. Andererseits sind wir hier, um etwas zu kaufen. Und er ist hier, um etwas zu verkaufen. Grundsätzlich keine schlechte Voraussetzung für beiderseitiges Glück. Denken wir, wahrscheinlich auch sein Chef, er jedoch nicht. Wir könnten doch woanders gucken. Sagt er. Er macht zwei Vorschläge.
Wir gucken doof. Eigentlich wollten wir keinen Shoppingmarathon. Und auch nicht in die Stadt. Wir wollten nur in diesen einen Laden, sonst nirgendwo hin. Aber besondere Ereignisse erfordern…äh Dings.
Ok, Einzelhandel. Wir müssen reden!
Etwas enttäuscht beschliessen wir zu gehen. Wünschen ihm alles Gute. Er soll auf sich aufpassen. Wir stehen das schon durch. Irgendwie. Sagen wir noch zu ihm. Er steht jedoch schon wieder hinterm Tresen, guckt in den Obstbildschirm und hat uns gar nicht mehr gehört.
Wir fahren zu einem der von ihm empfohlenen Geschäfte. Wir waren dort vorher noch nie. Aber jetzt, wo alle Geschäfte wieder aufhaben und wir doch unsere Mission “regionale Wirtschaft unterstützen” erfüllen wollen, gehen wir einfach mal neue Wege. Plan B, wir kommen. Es wird schon gut gehen. Wer kauft schliesslich in Zeiten wie diesen Tischdecken oder Bettwäsche in einem Fachgeschäft für Bettwaren? Viel kann da also nicht los sein.
An der Tür ist kein Schild. Wir setzen unseren Mundschutz auf. Die Tür hat zu viel Schwung, rutscht uns fast aus der Hand und knallt mit einem fröhlichen Rums auf. Vor uns stehen drei Damen in Dreiviertelhosen. Alle drei mit selbstgenähtem Mundschutz im frischen Tischdeckenmuster, der die Gesichter der Damen fast vollständig verdeckt.
Wir stellen fest: Tötende Blicke funktionieren trotz versteckter Mimik dank Mund- und Nasenschutz immer noch ganz gut.
Der Laden ist nicht gross aber gross genug für drei Damen in beige. Der Abstand wird eingehalten. Die Damen sehen aus, als wären sie Teil des Inventars oder irgendwie zusammenhängend. Nach genauerer Begutachtung stellen wir aber recht schnell fest, dass alle drei weder zum Verkaufspersonal gehören noch sonst irgendeine Verbindung zueinander haben. Sie sehen nur zufällig aus wie geklont. Die eine geht nach links und blättert in Körben voller Geschirrtücher, das Tuch für 3,90 Euro. Natürlich fasst sie jedes an. Die zweite Dame steht mit Korb am Tresen und wartet bereits ungeduldig auf den Fersen wippend, während sich die dritte Dame mit gewisser Ernsthaftigkeit über die Vorzüge und Nachteile gemusterter Tischdecken erkundigt und mit der Fachverkäuferin fachsimpelt.
Wir suchen währenddessen ein Handdesinfektionsgerät, nicht vorhanden, begrüssen alle mit einem freundlichen Hallo und entschuldigen uns gleichzeitig lächelnd, auch wenn es niemand sieht, für unseren schwungvollen Eintritt. Alle Damen drehen uns daraufhin den Rücken zu, die Verkäuferin blickt ziemlich böse in unsere Richtung. Wieder keinerlei Begrüssung, stattdessen schlägt uns eine Mischung aus stoischem Desinteresse gepaart mit einer spürbaren Abneigung entgegen. Wir fühlen uns sehr unwohl und verstehen unter einem positiven Verkaufserlebnis was anderes. Unschlüssig stehen wir kurz zwischen der flatterigen Tür und unserem Ego. Und gehen. Auch hier werden wir wohl kein Kissen kaufen. Die regionale Wirtschaft will anscheinend nicht gestärkt werden.
Und plötzlich ist auch schon alles egal.
So schnell wollen wir unsere Mission noch nicht aufgeben und stellen fest, dass der nächste Laden eigentlich gar nicht weit weg ist und beschliessen spontan, dorthin zu laufen. Schliesslich scheint die Sonne, es ist wenig los und wir waren doch schon so lange nicht mehr in der Stadt. Und egal ist es jetzt auch sowieso schon irgendwie. Zudem wird es uns unser Vitamin D Spiegel danken.
Im nächsten Geschäft hängt am Eingang zur Bettwarenabteilung ein grosses Stoppschild. Wir sollen den Haupteingang benutzen. Machen wir natürlich. Am Haupteingang wartet bereits eine Dame im Rollstuhl an der Türschwelle. Vor uns ein Schilderwald. “Bitte einzeln eintreten” steht darauf. Zudem “Bitte Abstand halten”, “Mundschutz tragen”. Die Desinfektionsflasche für die Hände solle man bitte nicht anfassen, das Personal würde kommen um einem die Hände zu desinfizieren.
Wir finden die Massnahmen gut. Und warten. Die Dame im Rollstuhl ist nicht vor uns dran, sie wartet nur auf ihre Begleitung, die gerade an der Kasse bezahlt. Auch gut. Wir lächeln freundlich, als ihre Begleitung das Geschäft verlässt, setzen unseren Mundschutz auf und gehen bis zur Türschwelle. Vor uns stöbert eine Kundin durch die Regale. Wir warten.
“Bitte einzeln eintreten” stand auf dem Schild. Wir wundern uns nur kurz. Da war schliesslich eine weitere Kundin zuvor im Geschäft. Die Verkäuferinnen hinter der Kasse tratschen. Eine tippt dabei auf einem Telefon herum. Die zweite Kundin verlässt ebenfalls das Geschäft. Wir stehen etwas unschlüssig vor dem Tisch mit dem Zettel “Nicht die Händedesinfektionsflasche anfassen, eine Verkäuferin kommt und macht das für sie”. Nett, denken wir. Das sind mal gute Massnahmen. Die Verkäuferinnen hinter der Kasse haben uns gesehen, machen aber keinerlei Anstalten, uns zu begrüssen oder zu uns zu kommen. Wir stehen etwas verloren an der Türschwelle herum. Während eine der Verkäuferinnen nach hinten verschwindet, fängt die andere an eine Nummer in ihr Telefon zu tippen. Wir warten immer noch am Eingang. Hinter uns macht eine Dame Anstalten, sich an uns vorbeizuquetschen. Wir sind unsicher. Die Telefonverkäuferin dreht sich währenddessen gezielt von uns weg.
Wohl unnötig zu erwähnen, dass wir kein Kissen gekauft haben. Wo auch?
Resignation dank Motivation. Klassischer Fall von zu früh gefreut.
Übrigens werden wir künftig wieder vermehrt online einkaufen. Ich sags nur. Ich wollte es anders. Aber dieses “anders” wollte es nicht. Und der Einzelhandel meiner Zuhausestadt wollte es ebenfalls nicht anders.
Übrigens. Nicht dass jetzt jeder denkt, ich schere über einen Kamm. Ich bin immer noch optimistisch, dass das mit mir und diesem regionalen Einzelhandel noch was wird. In diesem Leben. Und wie es der Zufall so will, kommen wir gerade von einer Zufallsbegegnung. Glücklich mit einem strahlenden Lächeln. Eine freundliche Ladeninhaberin war entzückt, dass wir reingeschaut haben. Wir haben geguckt, gelächelt, geredet, uns ausgetauscht – und werden dort künftig einkaufen gehen. Das wissen wir jetzt schon. Und wir haben auch schon abgemacht, dass wir, wenn diese Phase mit Mundschutz und Abstand und so wenig Kontakt wie nötig abgeschlossen ist, uns alle vor ihren Laden auf ein paar Stühle setzen, Prosecco trinken und uns den bereits schönen Nachmittag noch ein bisschen schöner saufen.
Na geht doch. Und es liegt nicht an uns, dass so mancher Einzelhandel unfreundlich ist. Meine Erkenntnis dieser Geschichte.
Nochmal Glück gehabt, du Zuhausestadt.
Und ihr so?
What do you think?