Ist das jetzt das Ende von “Extreme Cocooning” und diesem “Nur-sein”?
Der Lockdown scheint vorbei. Aus Extreme Cocooning wird wieder Alltag. Von hundert auf null und wieder zurück. Und was bleibt?
Geht jetzt echt alles einfach so wieder los? Genauso wie vorher? Oder wie? Und geht das überhaupt? Als wäre nie etwas gewesen. Und wir haben anscheinend schon wieder etwas verpasst. Nicht nur der Feiertag am 1. Mai ist spurlos an uns vorbeigegangen, auch die Öffnung aller Geschäfte in Österreich ging an uns völlig vorbei. Und erschliesst sich uns nebenbei auch noch nicht. Wir sind nicht Teil des Rudels. Anscheinend. Und auch keine Lemminge. Wird uns gerade bewusst.
Ob man das nun gut oder schlecht finden kann, bleibt dahingestellt. Ich bin jedenfalls einfach noch nicht im “Alles ist wieder gut” Modus und schon gar nicht in Shoppinglaune. Habe noch den Ausnahmezustand im Hinterkopf. Lebe noch in der Ausgangssperre, weil das das Thema Pandemie für mich noch längst nicht abgehakt ist.
Das lieben gelernte Cocooning lässt sich nicht einfach so schnell wieder abschütteln.
Vor einem schwedischen Möbelhaus stehen Menschen, als wäre morgen Armageddon oder zumindest Black Friday. Ich nehme an, die Zeit von #stayhome und #lockdown wurden von einigen Leuten dazu genutzt, neben dem Streiten auch diverse haushaltsübliche Gegenstände aus Porzellan an die Wand zu schmeissen. Sieht ganz danach aus, als wären manche heilfroh, endlich wieder eine Tasse kaufen zu können. Im Schrank scheinen die Herrschaften jedenfalls keine Einzige mehr zu haben.
Wir bleiben jedenfalls noch zuhause. Ich stelle mich mit Sicherheit nicht in eine kilometerlange Schlange, um mit Gleichgesinnten Teelichter, Servietten oder gefrorene Hackfleischbällchen zu kaufen.
Stattdessen habe ich mir lieber Gedanken darüber gemacht, was ich von dem ganzen so halten soll. Jetzt, wo ich mein Lockdown-Tagebuch erst einmal in die Schublade legen kann, wo es hoffentlich auch für immer bleiben darf. Wobei ich mir da leider nicht so sicher bin. Wenn ich ehrlich sein soll.

Aber ein paar Dinge wollte ich zum Ende doch noch los werden. Nämlich die Dinge, die ich gelernt habe. Aus dieser Zeit der Ausgangssperre, diesem “extreme Cocooning”, wie ich es nenne.
WAS ICH GANZ BESTIMMT VERMISSEN WERDE
Die Ruhe in unserem Haus. Wir wohnen mitten in der Stadt. Modern und praktisch in einer Architektur, reduziert aufs Wesentliche. Das ist schön, aber leider manchmal auch ziemlich laut. Warum? Weil Beton und Schall gut miteinander auskommen, solange keiner Lärm macht. Ein Lockdown in Stahlbeton bedeutet, sich unglaublich behütet zu fühlen und gleichzeitig in absoluter Stille zu leben. Aber eben nur dann. Ich werde diese Stille besonders früh morgens sehr vermissen.
WAS ICH GANZ BESTIMMT NICHT VERMISSEN WERDE
Die Angst, beim Rausgehen etwas Verbotenes zu tun. Dieses Gefühl, draussen zu sein, ohne es zu dürfen. Das ist schon befremdlich. Sich nicht zu trauen einen kurzen Spaziergang in einer stillen Seitenstrasse zu machen, nur mit dem Ziel, den Bäumen beim blühen zugucken zu wollen. Weil man denkt, man darf nicht. Das werde ich nicht vermissen.
WAS ICH NEU ENTDECKT HABE
Ich kann, was ich aber eigentlich immer schon wusste, super mit mir selbst sein. Brauche weder Action noch Freizeitstress. Und kann einfach nur so sein. Und das ist schön.
WAS ICH BEIBEHALTEN WERDE
Ich hab mir während dieses #Stayhome Zustandes angewöhnt, regelmässig zu schreiben. Das tut mir gut. Das mache ich weiter.
WAS ICH MIR BESSER WIEDER ABGEWÖHNEN SOLLTE
Man kann schon mal den ganzen Tag im Schlafanzug vor dem iMac sitzen. Sieht ja keiner. Das ist zwar bequem, aber auf Dauer vielleicht keine so gute Idee. Ich stimme zwar Karls vorwurfsvollem “Wer eine Jogginghose trägt hat die Kontrolle über sein Leben verloren” nicht ganz zu, aber wer eine Woche lang ohne triftigen Grund nur im Schlafanzug verbracht hat, hat definitiv die Kontrolle verloren. Nicht sofort über sein Leben, aber zumindest über einen Teil seiner Entschlussfähigkeit. Und man soll ja bekanntlich immer dann aufhören, wenn es gerade am schönsten ist. PS: Gerade habe ich einen Jumpsuit an. Sagt nichts. Ich weiss….
WAS ICH AUS DIESEM LOCKDOWN GELERNT HABE
Ich brauche viel weniger als ich denke. Vielleicht wusste ich auch schon immer, dass ich nicht alles brauche, was mir die Werbung einzureden versucht. Aber man kommt wirklich super mit den Dingen aus, die man eh schon hat. Aber ich werde mir dennoch angewöhnen, Vorräte zu kaufen. So wie es meine Eltern früher schon gemacht haben. Da war immer Vorrat im Haus. Das Bedürfnis für Vorratshaltung hatte ich vor diesem Pandemieerlebnis überhaupt nicht. Ganz einfach weil man nicht das Gefühl hatte, es zu müssen. Aber um bei Beginn der nächsten Welle, die bestimmt kommen wird, nicht mit den Hamstern in einer Schlange vor den Supermärkten stehen zu müssen, kaufe ich lieber vorher schon ein paar Dinge mehr ein. Man wird durch so ein Erlebnis tatsächlich vorsichtiger und bekommt ein anderes Verständnis für die Grosselterngeneration, die immer vom Krieg erzählt hat und einfache Dinge deswegen zu schätzen weiss.
UND WAS ICH WÄHREND DER ZEIT ZUHAUSE WIRKLICH VERMISST HABE
Ich habe das Bummeln über Bauernmärkte vermisst. Das haben wir während des Lockdowns kein einziges Mal gemacht, auch wenn wir gedurft hätten. Einfach aus dem Grund, weil wir Menschenansammlungen meiden wollten und dies auch weiterhin tun werden. Und ich vermisse immer noch kleine Ausflüge in den Park, zum Schloss oder einfach nur ans Wasser. Ich vermisse auch das einfach nur so dasitzen und schauen, auf einer Bank, im Café, auf einer Mauer. Es sind tatsächlich hauptsächlich nur die kleinen Dinge, die man wirklich vermisst.
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