A Christmas to Remember

Sind wir doch mal ehrlich: Jedes Jahr zu Weihnachten sind wir aufs äußerste angespannt. Gestresst. Und völlig genervt. Wir rennen und hetzen, kaufen und planen, wickeln Dinge in Geschenkpapier und binden Schleifchen um Sachen, packen Kartons in noch grössere Kartons und stehen mit anderen Kartonpack-Menschen in langen Schlangen um alles rechtzeitig irgendwohin zu schicken. Und dort in diesem Irgendwo machen andere Menschen genau dasselbe. Schreiben Karten, denken sich Geschenke für all die Lieben aus, die eigentlich genau wie wir selbst bereits alles haben, basteln, dekorieren, binden noch mehr Schleifchen. Wir backen und packen und tun und machen. Bloss niemanden vergessen. Selbst die unsympathische Verwandtschaft wird bedacht. Besser ist das. Nicht dass am Ende einer noch beleidigt ist. Darüber, dass er eventuell keine oder zuwenig der Dinge bekommt, die er wahrscheinlich gar nicht braucht.
Wissen wir eigentlich überhaupt noch wieso wir das alles machen? Ich glaube nicht.
Es ist doch wenn wir ehrlich sind nun mal so: wir haben doch alle mittlerweile total vergessen, wie es anders geht. Wie Weihnachten ohne Geschenkestress wäre. Ich glaube sogar, dass kaum einer von uns von alleine überhaupt auf die Idee käme, es ohne Geschenke-Tamtam zu machen. Das passt doch auch gar nicht mehr in unser weihnachtlich geprägtes Weltbild. Weihnachten ohne Geschenke? Und dann vielleicht sogar noch ohne Baum. Ohne Lichterkette. Wie sieht das denn aus! Und was sollen die Nachbarn denken.
Zurückbesinnung aufs Wesentliche: Aber was war das eigentlich nochmal?
Sich auf das Wesentliche zurückzubesinnen fällt vielen schwer. Denn die meisten von uns können sich ein Weihnachten ohne Glitzer gar nicht mehr vorstellen. Mir geht es nämlich genauso. Zurückbesinnung aufs Wesentliche. Seltsame Vorstellung. Wie war das denn überhaupt nochmal? Ach ja. Sowas wie ein Weihnachtsfest ohne Konsumterror? Genau! Wie das geht? Wahrscheinlich in unserer Welt so gut wie gar nicht mehr. Wir sind schliesslich alle schon viel zu sehr konditioniert auf all die schönen Dinge wie Shoppen, Dekorieren, Kekse futtern. Kaum klingelt irgendwo ein Weihnachtsglöckchen, fangen wir fast schon an zu sabbern. Weihnachten bedeutet doch in unserer Welt kaum noch etwas anderes als Geschenke kaufen. Oder? Oder ist das vielleicht doch alles ganz anders?

Weihnachtsdetox und die Frage, ob das alles ja vielleicht gar nicht mal so schlecht ist.
Ich jedenfalls habe dieses Jahr eine seltsame Weihnachtsstimmung. Zwar war ich nie der totale Weihnachts-Allover-Typ, aber ich mag Weihnachten trotzdem sehr. Nicht im religiösen Sinn, denn erstens bin ich’s nicht, also religiös, und zweitens ist die Weihnachtsgeschichte, wenn wir mal genau hingucken, inhaltlich sowieso alles andere als stimmig. Genau genommen klingt sie wie eine schlecht geschriebener Roman über eine Dreiecksgeschichte, in den Hauptrollen ein fremdgehendes Fräulein M., ein betrogener Herr J., beide obdachlos. Grund dafür der ominöse Kindsvater G. Einflussreich und mächtig, aber untätig zuguckend. Herr J. steht bedröppelt neben seinem Fräulein M., das ihn eindeutig betrogen zu haben scheint, aber ihm etwas von unbefleckt erzählen will. Während sich der Herr G. gross aufplusternd als Vater des kleinen J. feiern lässt. Das ist einfach nicht so mein Ding. Was geblieben ist: Genaugenommen moralisch betrachtet nichts, ausser unserem aus dieser Dreiecksgeschichte entstandenen Weihnachtsfest. Über Umwege. Die Geschichte selbst klingt wie eine RTL II Doku und könnte genau so heute überall passieren – nur wahrscheinlich würde es keinen interessieren. Ausser einer der Beteiligten wäre erfolgreich auf TikTok aktiv. Dann käme darüber wahrscheinlich irgendwas auf BILD TV. Schon seltsam.
Doch dieses Jahr bleibt alles anders. Und Schuld daran ist ein unsichtbares Virus. Eine Pandemie.
Wär hätte das gedacht. Wir feiern Weihnachten, wie man es wahrscheinlich immer feiern sollte. Dank einer Pandemie. Ruhig. Ohne viel Aufhebens. Wir besuchen niemanden, laden niemanden ein. Es wird nicht gross aufgekocht und die Geschenke beschränken sich auf ein paar Kleinigkeiten. Wir haben das erste Mal seit Jahren wieder etwas gebastelt. Für die beste Freundin mit Familie gab es einen Adventskalender mit Bastelaufwand. Gut, es war ein gekaufter Adventskalender. Aber immerhin nachhaltig aus recyceltem Material gefertigt in einer Behindertenwerkstätte. Wir mussten 24 Häuser erst falten und dann zusammenfummeln, Schildchen mit Nummern bekleben und vor allen Dingen die Häuschen mit allerlei Kreativem befüllen. Ohne Pandemie hätten wir das wahrscheinlich nicht gemacht. Da wäre unser Geschenk anders ausgefallen. Wir haben viel gebacken. Zugegeben, das machen wir sonst auch. Aber dieses Jahr war es anders. Es ist ein anderes Gefühl, nicht rausgehen zu dürfen, weil wir im Lockdown feststecken. Man nimmt sich tatsächlich mehr Zeit und ist aufmerksamer. Achtsamkeit, um es mit einem Trendwort zu beschreiben, passt da ganz gut. Ich bin eigentlich alles andere als achtsam. Zumindest so achtsam, wie es der bewusst lebende Mensch praktiziert. Ich weiss ehrlich gesagt auch gar nicht, was damit überhaupt gemeint ist. Achtsamkeit ist für mich so etwas wie die Konzentration auf eine Sache. Ohne viel Ablenkung. Und das, muss ich sagen, habe ich in der Pandemie gelernt. Wieder aufmerksamer zu sein. Und mich nicht von unwichtigen Dingen oder Menschen stressen zu lassen. Es gibt sie nämlich, diese Menschen, die verlangen und fordern und aussaugen. Die einen strudeln und zweifeln lassen. Und negativ beeinflussen ohne dass man es wirklich merkt. Das ist der positive Lockdown-Effekt. Einige der Arschlöcher bleiben eben auch drinnen.
Tendu
Das ist der positive Lockdown-Effekt. Einige der Arschlöcher bleiben eben auch drinnen.
Was ich nie gedacht hätte: Dieses nach aussen “Nichtdürfen” reduziert das innerliche Müssen.
Vieles ist in diesem Jahr egaler geworden und somit ist dieses Weihnachten auch so ruhig, wie es eigentlich immer sein sollte. Man braucht weniger als gedacht. Ich habe in diesem Jahr tatsächlich keinen neuen Weihnachtsschmuck gekauft. Ich habe stattdessen alles an Deko, was sonst in der Schublade unbeachtet liegen bleibt, rausgekramt und aufgehängt. Und dabei festgestellt, dass eigentlich alles zusammenpasst. Auch das bisher immer etwas ungeliebte Gedöns. Alles ist hübsch. Und alles ist auch genug.
Wir haben keinen Weihnachtsbaum aufgestellt. Weil wir einfach keinen brauchen. Ich mag zwar den Duft von frischem Nadelgehölz in der Wohnung. Aber den Duft kriegt man auch durch einen einfachen frischen Tannenzweig in die Bude. Dafür braucht man keinen ganzen Baum. Natürlich ist ein echter Tannenbaum hübsch. Das stelle ich auch überhaupt nicht in Frage. Aber Weihnachten funktioniert auch mal ohne und ehrlich gesagt fehlt er mir dieses Jahr nicht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich bereits Mitte November mit dem Dekorieren angefangen hatte. Das hat für mich Weihnachten um Wochen verlängert und so werde ich das künftig immer machen. Man hat einfach mehr von der Weihnachtszeit. Und das fand ich von diesem Jahr viel schöner als sonst.
Wir sitzen öfter im Kerzenlicht als sonst. Das ist in diesem Jahr auch anders. Wenn sich das Leben hauptsächlich auf das Zuhause konzentriert und das Draussen nicht so sehr zum Ablenken zur Verfügung steht, macht man sich ganz automatisch mehr Gedanken darüber, wer man ist, wo man lebt und ob das alles gut tut. Wir haben die Möbel noch nie so oft umgestellt wie in diesem Jahr. Und wir haben noch nie so oft hinterfragt, ob wir wirklich sind, was wir so vor uns hinleben. Wir sind zur Erkenntnis gekommen, dass alles okay ist, aber nicht wirklich richtig gut. Wir wissen leider nur noch nicht, was besser wäre. Aber wir haben ja noch einen Lockdown vor uns. Vielleicht bringt das neue Jahr im Lockdown neue Ideen mit sich. Momentan stehe ich für meinen Teil vor einem Berg Entscheidungen, die ich nicht treffen kann, weil ich nicht weiss, wohin die Reise geht. Das verunsichert zum einen, andererseits stellt sich gleichzeitig ein seltsam ruhiges Gefühl von Allesokaywieesist ein. Innerer Frieden gepaart mit diesem nicht wissen was kommt macht aber auch irgendwie unglücklich. Ich fühle mich oft unglaublich leer und ausgebremst, will nichts mehr sehen und nichts tun, bekomme manchmal keine Luft. Und habe gleichzeitig das Gefühl, mein Leben ist vollkommen umsonst. Das macht traurig. Nicht immer gut, wenn man so viel Zeit hat, über sich selbst nachzudenken.

Wir haben dieses Jahr Weihnachten übrigens das erste mal einfach nur Spaghetti gekocht. Und es waren die besten Spaghetti aller Zeiten. Wir werden dieses Jahr Silvester einfach laut Musik hören und dazu tanzen. Mitten im Wohnzimmer. Ich freue mich darauf, nicht Silvester feiern zu müssen, wie man das sonst immer so macht. Mit Pflichteinladungen und Pflichtgegeneinladungen. Blöden Hütchen auf dem Kopf und Gesellschaftsspielen nach dem Fondue. Ich fand den Jahreswechsel immer schon schlimm. Silvesterparties waren nie toll. Und dennoch hatte man das Gefühl, man muss raus und was machen. Man verpasst doch schliesslich sonst irgendetwas.
Nein. Tut man nicht. Man vergeudet nur schöne Momente, indem man sich ablenken und beeinflussen lässt von dem, was alle anderen machen, weil sie wahrscheinlich auch nur denken, es gut zu finden. Dieses Jahr macht uns bewusst, was man braucht. Was man mag. Was man überhaupt nicht gut findet. Und stellt fest, dass gar nicht viel von dem bleibt, was einem die Gesellschaft vor diktiert und von dem man dachte, das man es mag.
Gut so. So gesehen ist die Corona-Pandemie eigentlich ein kleiner Philosoph. Wenn der ganze Schrecken nicht dabei wäre.

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