Lockdown! Die Welt steht eigentlich immer noch still. Allerdings nicht für alle.
Liebes Lockdown Tagebuch ✗
Wir sitzen immer noch brav zuhause. Haben uns mit diesen Ausnahmezustand arrangiert. In unseren Köpfen hat sich der Gedanke gefestigt, andere nicht gefährden zu wollen. Offiziell herrscht grundsätzlich bis Ende April eigentlich Ausgangssperre wie zuvor. Nur aus bestimmten wichtigen Gründen sollte das Haus verlassen werden.
Ich muss gestehen, dass ich mich bereits daran gewöhnt habe.
Die Medien zeigen wie schon so oft etwas anderes. Überall Menschen. In Parks, auf Bänken, in der Stadt. Ab Montag öffnen bei uns irgendwelche Geschäfte. Niemand erkennt ein System. Irgendwo dürfen Geschäfte bis 400 qm öffnen, woanders nicht. Zusätzlich solle die Anzahl der Kunden beschränkt werden. Ein Mensch pro 20 qm ist die Richtlinie. Wir fragen uns, was ist, wenn in einem 400 qm Geschäft drei Menschen gleichzeitig auf 20 qm stehen, weil genau dort im Regal das Objekt der Begierde steht. So wie es sich im Supermarkt am Kühlregal gerne immer mal wieder staut. Aber so genau scheint das nicht hinterfragt zu werden. Hauptsache am Ende stimmt die Gesamtzahl. Dass sich alle Kunden an der Kasse wieder treffen und dort niemand Abstand halten wird macht sowieso nichts. Was im Supermarkt funktioniert, geht schliesslich auch im Baumarkt. Aber nicht im Möbelhaus. Dafür in der kleinen Boutique. Oder wie?!
Wir haben verstanden. Wir haben verstanden, dass niemand versteht, wie eine kleine Modeboutique mit ein paar Quadratmetern das alles bewerkstelligen soll. Und so auch noch genug Umsatz generieren soll. Aber auch das scheint egal. Hauptsache, der Selbstständige macht wieder was er sonst so tut und fällt schnell aus dem Förderprogramm. Oder ist das nicht der Grund? Ich für meinen Teil gehe jedenfalls nächste Woche bestimmt nicht motiviert eine Hose kaufen, wenn ich im Vorfeld schon weiss, dass ich dafür vielleicht erst einmal vor dem Geschäft warten muss. Mal ehrlich, das macht doch niemand!
Ganz davon abgesehen, dass ich bis Ende des Monats nur für dringende Erledigungen das Haus verlassen soll. Eine Hose zu kaufen scheint mir grundsätzlich jedoch nicht zur Kategorie “lebenswichtig” zu gehören. Ich gehe mal davon aus, dass wir alle genug Hosen im Schrank haben und kaum einer von uns seit Anfang der Ausgangssperre ohne herumläuft und heilfroh ist, endlich eine kaufen zu dürfen.
Die wirtschaftliche Lage ist angespannt.
Es stimmt natürlich, dass es irgendwie irgendwann weitergehen muss. Aber ich finde diesen Optimismus, der gerade verbreitet wird, noch zu früh. Es wird ja fast schon suggeriert, dass der Virus unter Kontrolle ist und die Lage sich langsam wieder entspannt. Autoproduzenten fahren ihre Werke wieder hoch. Die Krise scheint vorbei. Die Gefahr gebannt. Ich bin anderer Meinung und bleibe angespannt skeptisch. In Tirol denkt man bereits vorsichtig darüber nach, im Sommer Touristen aus Deutschland einreisen zu lassen. Echt jetzt?
Aber ich hatte es vorausgesagt. Wir sind alle zu blöd um aus so einer Krise zu lernen. Ich bin gespannt, wann die ersten Touristen wieder durch die Stadt flanieren als wäre nie etwas gewesen. Und ich fürchte darauf muss ich nicht allzu lange warten.
Ich bleibe kritisch. Und ich betone immer wieder: Wir sind zuhause weil wir andere nicht gefährden wollen. Nicht nur, weil wir müssen und eigentlich auch sollen, sondern weil wir es auch wollen. Das ist der Hauptgrund. Aber das hat unsere egozentrisch egoistische Ich-ich-ich-Gesellschaft längst wieder vergessen. Wir haben anscheinend andere Probleme. Hauptsächlich natürlich egoistische. Findet mein Sommerurlaub jetzt statt oder nicht? Wann machen Spielplätze und Kindergärten wieder auf. Dazu die leidige Frage: Wie schaffen es Eltern nur, so lange auf ihre selbstproduzierten Kinder aufzupassen. Natürlich eine Zumutung!
Eine Mandarine mit Puschel auf dem Kopf im Land Weitweg will ebenfalls alles wieder “hochfahren”, wie es so schön heisst. Wir gucken irritiert und überlegen, welchen Knall wir wohl gerade nicht gehört haben. Weiss er was, was wir nicht wissen? Er scheint ein Orakel befragt zu haben.
Die Medien sind ganz vorne mit dabei. Alles ist fast genau so, wie es vorher auch schon war. Wir sehen nur Berichte mit der Botschaft “Alles wieder auf Anfang”. Experten diskutieren über die besten Exitstrategien. Ich bin noch gar nicht bereit, überhaupt an Exit zu denken. Andere stehen bereits in den Startlöchern.
“Wir müssen die Wirtschaft wieder hochfahren, sonst gehen viel zu viele pleite.” O-Ton irgendwer mit Experte im Titel.
Stimmt. Aber wenn wir jetzt einfach so weitermachen als wäre nie etwas gewesen kann uns das ganze Ding dann nicht doch noch um die Ohren fliegen? Und damit meine ich nicht die Wirtschaft sondern einen erneuten Ausbruch. Und was dann?
Italien scheint gerade vergessen. Ich höre nicht mehr viel davon. Aus Ecuador hört man so gut wie nichts. Die Flüchtlingscamps sind auch noch da. Interessiert gerade nur keinen. In Afrika scheint alles prima zu laufen und anscheinend sind auch alle Inder pumperlgesund. Zumindest hört man nichts gegenteiliges. Ich höre nur von Exit-Strategien. Und Biergärten, die dringend geöffnet werden sollten. Wegen dem wirtschaftlichen Verlust. Natürlich. Ich würde an eurer Stelle vielleicht schon mal das Oktoberfest planen. Die Mass dieses Mal 15,50 Euro wegen den unvorhergesehenen Unkosten, die die Krise verursacht hat. Mundschutz nicht inklusive.
Man fasst es nicht. Und muss es doch so hinnehmen. Der Mensch hat nichts gelernt und wird es auch nicht tun.
Alles was ich gerade aus der Corona-Krise lerne ist, dass wir wieder nichts kapiert haben.
In einem Wirtschaftsmagazin erzählt ein dicker Herr in schlecht sitzendem Anzug, dass wir selbstverständlich zum Ziel haben, dass es der chinesischen Wirtschaft gut geht. Wer ist wir? Und wer ist der dicke Mann? Und wie kommt er so selbstverständlich auf diese “selbstverständlich” Behauptung.
Ich habe die Befürchtung er glaubt, was er da sagt.
Aus Überzeugung. Natürlich. Aus was auch sonst. Ich kann gar nicht sagen wie sehr ich nicht mehr in solch einer Welt leben möchte. Umgeben von dieser Sorte Mensch.
Den meisten Menschen scheint das grösste Problem zu sein, wie sie ohne Sommerurlaub das Leben überleben können. “Fällt meine Flugreise wegen Corona aus und wenn ja, warum?” scheint derzeit eine ernstgemeinte Frage zu sein. Und das ist noch nicht einmal die blödeste. Mein Favorit ist jedoch “Kann ich denn jetzt schon mal meinen Flug für September buchen?”
Auch wenn der Virus vielleicht irgendwann gehen sollte. Die Blödheit bleibt. Es ist tatsächlich wahr. Bis vor kurzem hatte ich ja noch leise Hoffnung.
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